Ein Interview, ein Satz und die Angst vor politischer Vergeltung: Jens Spahn sorgt mit seiner Warnung vor möglichen Anklagen unter einer AfD-Regierung für Aufsehen – und entfacht damit eine hitzige Debatte über Pandemie-Politik, Machtoptionen und die Zukunft der deutschen Demokratie.
Ein Satz, der alles veränderte

Als die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am vergangenen Wochenende das Gespräch mit Jens Spahn veröffentlichte, war es vor allem ein Satz, der Schlagzeilen machte: „Der Erste, den die AfD ihrer politischen Justiz zuführen würde, wäre ich.“ Damit katapultierte sich der Unionsfraktionschef zurück ins Zentrum der Corona-Aufarbeitung und lenkte den Fokus auf die Frage, wie weit eine rechtspopulistische Regierungsmehrheit tatsächlich gehen könnte.
Spahn traf den Nerv einer Republik, in der Umfragen der AfD seit Monaten zweistellige Rekorde bescheinigen und die politische Mitte um neue Strategien ringt. Die Atmosphäre ist elektrisch, der Ton schärfer denn je – doch was genau fürchtet der CDU-Politiker?
Die Angst vor der politischen Justiz

Hinter Spahns Warnung steckt mehr als nur Wahlkampf-Rhetorik. Innerhalb der AfD kursieren seit 2021 Forderungen nach einem Corona-Tribunal; Parteigranden sprechen offen davon, ehemalige Regierungsmitglieder für Lockdowns, Maskendeals und Impfdruck „zur Verantwortung zu ziehen“. Spahn sieht sich als symbolisches Feindbild Nummer 1 – ein Zustand, der jede Talkshow-Diskussion sofort auflädt.
Er verweist auf persönliche Anfeindungen, Beschimpfungen als „Mörder“ und eine „tiefe Sehnsucht nach Rache“, die er im Milieu der AfD-Basis spürt. Doch um zu verstehen, warum die Angst so tief sitzt, lohnt ein Blick zurück in die Pandemie-Jahre.
Rückblende: Entscheidungen unter Zeitdruck

Zwischen März 2020 und Dezember 2021 führte Jens Spahn das Gesundheitsministerium durch die größte Gesundheitskrise seit Generationen. Milliarden-Bestellungen für Masken, Schnelltests, Impfstoffe und der Druck, binnen Tagen Gesetze zu ändern, prägten seine Amtszeit. Fehler passierten: überteuerte Schutzmasken, chaotische Impfstart-Termine, hastig geschriebene Verordnungen.
Diese Altlasten wurden nie ganz ausgeräumt; Untersuchungsausschüsse scheiterten an Mehrheiten, doch interne Berichte sickerten durch und lieferten Munition für politische Gegner. Diese Altlasten befeuern heute ein neues politisches Kräftemessen.
Union, Links – und die neue Bündnisfrage

Überraschend richtete Spahn seinen Appell nicht an FDP oder SPD, sondern an Grüne und Linke: „Wer die AfD klein halten will, muss ein Interesse an einer starken Union haben.“ Ein ungewohntes Signal in Richtung Mitte-Links, das im Bundestag für Irritation sorgte. Während SPD-Generalsekretärin Kühnert von „Ablenkungsmanöver“ sprach, lobte Grünen-Fraktionsvize Wagner die Handreichung – blieb aber vorsichtig.
Die AfD konterte prompt und versprach, „illegale Maskendeals“ restlos aufzuklären, sollte sie Regierungsverantwortung übernehmen. Bleibt die Frage: Droht Spahn tatsächlich ein Prozess oder ist alles nur Rhetorik?
Das Szenario einer AfD-Regierung

Juristen verweisen darauf, dass selbst eine AfD-geführte Regierung unabhängige Gerichte nicht einfach anweisen könne – aber die Macht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen und Staatsanwaltschaften personell umzubauen, wäre real. Politikwissenschaftler skizzieren bereits ein Szenario, in dem Corona-Entscheider jahrelang vor Gericht um ihre Reputation kämpfen müssten, während Europa fassungslos zuschaut.
Ob dieses Szenario Wirklichkeit wird, entscheidet letztlich der Wähler – und die kommenden Monate könnten spannender werden als jede Serie.